Geschichte bis 1918 Bereits unmittelbar nach dem Wittenberger Thesenanschlag zogen Studenten aus dem Gebiet des heutigen Österreichs nach Wittenberg und mit ihnen kamen Flugschriften in die Heimat. Man davon ausgehen, dass gegen Ende des 16. Jh. 2/3 der Bevölkerung mit lutherischen, täuferischen und schweizer Ideen sympathisierte. Im Gegensatz dazu stand das katholische Haus Habsburg, welches von Anfang an die Reformation blutig bekämpfte. Nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) kam dem Landesherren das Recht zu, die Religion seines Territoriums zu bestimmen, Die ständige militärische Bedrohung durch die Türken zwang jedoch den Landesherren zu Kompromissen. So entstand das Zitat „Der Türck ist der Lutherischen Glück, sonst würde man anders mit ihnen umbgehen.“ Mit Regierungsantritt Kaiser Ferdinand II. wurde der Ton jedoch schärfer, und er begann eine systematische und nachhaltige Rekatholisierung der Habsburger Erblande. Die Evangelischen standen vor der Wahl, in die katholische Kirche zurückzukehren oder auszuwandern. Evangelische Prediger und Lehrer wurden ausgewiesen, evangelische Schulen geschlossen. Zwischen 1580 und 1732 sind bis zu 200.000 Menschen aus Glaubensgründen emigriert. Viele wählten die Zwischenvariante des scheinbaren Rückkehrs. Damit begann der Geheim-protestantismus. Besonders in den schwer zugängigen Gebirgstälern Kärntens und Oberösterreichs hielt sich so evangelisches Glaubensgut, getragen durch das „Priestertum aller Getauften“. Aus protestantischen Gegenden Süddeutschlands wurden Bibeln, Andachts- und Liederbücher ins Land geschmuggelt und versteckt. Für das Abendmahl oder eine Trauung zogen viele nach Westungarn oder nach Franken. Mit dem Erlass des Toleranzpatents (1781) änderte sich die Situation, Kaiser Josef II. gestand den Protestanten eine eingeschränkte Religionsausübung zu. Trotz der Geringerstellung gegenüber der Römisch-Katholischen Kirche bekannten sich bald 80.000 Menschen zum evangelischen Glauben und bildeten Toleranzgemeinden. Erst im Jahr 1848 und besonders 1861 fielen aber diskriminierende Bestim-mungen. Evangelische durften ab dann ihre Angelegenheiten selbst regeln, konnten Vereine gründen und erhielt eine Staatspauschale an Geldmitteln. Organisatorisch umfasste die Evangelische Kirche A. und H.B. neun Superintendenzen, 23 Seniorate und insgesamt 291 Pfarreien in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern und umfasste 590.000 Mitglieder, was einem Prozentsatz von 2,06% entsprach.
Geschichte nach 1918; „Der Rest ist Österreich!“ – so hat es der französische Ministerpräsident Clemenceau ausgedrückt und damit die Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg festgeschrieben. Das gilt auch für die Evangelische Kirche. Ihrem Präsidenten, der Mitglied im Herrenhaus gewesen war, wurde nun die Aufgabe zuteil, seine altösterreichische Kirche zu „liquidieren“, die von Aussig an der Elbe im Norden bis Triest im Süden, von Bregenz im Westen bis Czernowitz im Osten reichte und ihren Schwerpunkt in Österreichisch-Schlesien (A.B.) bzw. in Böhmen und Mähren (H.B.) hatte. Danach, in der „Ersten Republik“ (1918 – 1934 konnte sich die Kirche konsolidieren, sogar durch die Angliederung des Burgenlandes und Übertritte aus der Römisch-Katholischen Kirche, wachsen. Später – und besonders nach dem Anschluss an Hitlerdeutschland – wurde die Kirchenführung als Instrument der staatlichen Lenkung empfunden, da sie von glühenden NS Sympathisanten geführt wurde. Die Begeisterung für den Nationalsozialismus nahm jedoch ab, als die evangelischen Schulen verstaatlicht und die Jugend-und Vereinsarbeit staatlicher Regie zu folgen hatte. 1939 wurde die österreichische Kirch ein die Deutsche Evangelische Kirche aufgenommen. Es blieben „Notbischöfe“ vor Ort. Johannes Heinzelmann, der sich gegen die klerikale Regierung positionierte und danach Hans Eder, der seine Stimme gegen die Fremdsteuerung aus Berlin erhob. Nach 1945 war die Losung dann „Austrifizierung“ und Entpolitisierung. Durch ihr Engagement in der Flücht-lingsfrage konnte die Kirche sich rehabilitieren. Sie integrierte viele Volksdeutsche aus dem Osten, so dass ihre Mitgliederzahl über 400.000 anstieg. 1961 wurde mit dem Protestantengesetz eine neue Grundlage ihrer Wirkung geschaffen werden, als „freie Kirche im freien Staat“. Als Zeichen der Freiheit ist die Mitwirkung in den europäischen und weltweiten kirchlichen Bünden zu rechnen. Auch kirchlich wurde Wien wieder zu einem Brückenkopf zwischen Ost und West.
Gegenwart: Heute leben in Österreich in 203 Kirchen-gemeinden rund 289.000 Gemeindeglieder in den A.B.-Gemeinden und 13.000 in den H.B.-Gemeinden . Sie sind weder eine Bekenntnis- noch eine Verwaltungsunion, arbeiten aber in vielen Bereichen eng zusammen Sie machen rund 3,4% der Österreichischen Bevölkerung aus und sind in sieben Diözesen untergliedert. Mit Bischof Dr. Michael Bünker steht an der Spitze ein ökumenisch erfahrener Theologe, Wie überall in Europa gibt es durch Überalterung und Austritte einen leichten Abwärtstrend. Wichtige Arbeitsbereiche sind der Religionsunterricht und die Jugendarbeit, die Diakonie und die Frauenarbeit, aber auch Gemeindearbeit in allen ihren Formen.
Foto: Internetauftritt 2018 der EKÖ
* 1935 Kronstadt (Brașov), Rumänien
Aus Siebenbürgen stammend, flüchtet er mit seiner Familie 1944 nach Österreich, wo er zu einem wichtigen Theologen der Evangelischen Kirche wurde und 1983 - 1995 auch das Bischofsamt versah.
Dieter Knall hat seinen Lebenslauf in dem Buch „Transilvania me genuit – Austria me recepit“ selbst geschildert. In Kronstadt geboren, aufgewachsen am Fuße der Zinne, besucht er da die Honterusschule. Die Schulferien verbringt er im Banat, in Detta, wo der Vater als Oberstaatstierarzt wirkt. Als Schüler erlebt er den ersten Bombenangriff auf Kronstadt. Das veranlasst die Familie im August 1944 über die Batschka und Ungarn nach Vorarlberg zu flüchten. Im Bregenzerwald findet die Familie eine zweite Heimat aber als „Ostflüchtlinge“ sind sie Schikanen ausgesetzt, durch den „Alemannenerlass“ als Altösterreicher ausgegrenzt. Dass der Vater für Österreich im Feld stand und der Großvater sogar fiel, beeindruckt keinen. Der Vater muss einen schier endlosenen Kampf mit der Bürokratie ausfechten, um seine Studien aus Hannover nostrifiziert zu bekommen. Dieter Knall wird in Bregenz konfirmiert, 1949 erwirbt er die österreichische Staatsbürgerschaft und 1950 legt er das Abitur ab zurück. Die Entscheidung zum Studium der Theologie führt er auf die teilweise demütigenden Erfahrung als Flüchtling zurück. Er studiert in Wien und Heidelberg. Nach dem Examen pro candidatura 1955 schließt er die Ehe mit Elisabeth Lang (aus Bulkesch/Siebenbürgen), die er schon aus Kronstadt kennt. Zunächst als Lehrvikar in Stainz/Steiermark eingesetzt, wird dieses - nach dem Examen pro . ministerio (1957) und der Ordination - der Ort seines ersten pastoralen Einsatzes. Später wechselt er nach Bruck/Muur. Er wird als theologischer Mitarbeiter nach Kassel, zu dem Dienst für die Diasporakirchen berufen und ist dort ab 1968 als Generalsekretär tätig. In dieser Zeit unternimmt er 1.497 Gemeindebesuche im Ausland und ist ein tiefer Kenner und Förderer des evangelischen Europas. Seine 12.000 Dias sind ihm Basis für viele Vorträge und Publikationen. Seiner Heimatkirche widmet er 1977 einen beeindruckenden Bildband: „Siebenbürgen – Land des Segens. Bild einer evangelischen Kirche“. Als Superintendenten der Steiermark kehrt er nach Österreich zurück. Besonderes Interesse bringt er dem Schicksal der unter Maria Theresia nach Siebenbürgen zwangsumgesiedelten Geheimprotestanten entgegen und gründet das Diözesanmuseum in Murau. 1982 wird er Bischof der Ev. Kirche A.B. in Österreich. In seiner Amtszeit fällt der Eiserne Vorhang. Nun regt er die Donaukirchenkonferenz an, als Plattform zur gemeinsamen Reflexion der gesellschaftlichen Veränderungen. Dieses Thema beschäftigt auch die stetig wachsende Leuenberg-Kooperation. Dieter Knall nimmt an siebenbürgischen Heimattagen, aber auch am 1. Pfarrertag in Hermannstadt teil, wo er als einziger auswärtiger Teilnehmer mit einem Referat betraut wird. Er ist Mitglied im Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde und im Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen. Ganz wichtig ist ihm der Einsatz für die Landler und deren Rücksiedlung nach Österreich. Dass dieses scheitert, zählt zu den großen Enttäuschungen seines Lebens, über die auch zahlreiche Auszeichnungen der Republik Österreich oder einzelner Bundesländer nicht hinwegzutäuschen vermochten.
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Buchhandlung Moser, 2. Stock, in der Fußgängerzone der Grazer Altstadt: eine junge Dame nimmt Stellung zu der Gestalt ihres Großvaters. Es sind erfrischende, ehrliche Worte, die Christina Rieder über den Menschen Dieter Knall findet. Sie spricht von der obligatorischen Siesta mit ihm, von den Freuden des Gartengießens aber auch von der Dankbarkeit, moralische Werte vermittelt bekommen zu haben.
Einen „Ander-Ort“ hatte Superintendent Wolfgang Rehner für die Präsentation der Ausstellung „Gesichter“ in Graz gesucht. Kirche solle nicht immer in eigenen Räumen isoliert bleiben. Die „Lange Nacht der Kirchen“ war nun die ideale Gelegenheit dazu, in den „Ander-Ort“ Buchhandlung Moser zu bitten. Gekommen waren viele, von dem Landeshauptmann der Steiermark über den Vorsitzenden des Bundesverbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich bis zum Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Zuerst stimmte Superintendent a.D. Hermann Miklas die Zuhörer mit Anekdoten darauf ein, dass Kirche nicht nur am anderen Ort, sondern auch anders sein kann. Dann wurde aus der Hörerschaft eine „Seherschaft“, denn der Blick wurde auf die Wanderausstellung „Gesichter“ gelenkt. Zur Einführung appellierte Bischof Reinhart Guib für die Zukunft der Europäischen Union und ihre Werte einzustehen. Zwei europäische Menschen – Grenzüberschreiter im ursprünglichen Sinne des Wortes – standen sonach im Fokus. Das Gesicht der Evangelischen Kirche A.B. in Slowenien, Frida Kovac, ist eine in Leoben gebürtige Österreicherin die durch die Liebe in das übermurische Dorf Gornje Slaveci verschlagen wurde. Dort wirkte sie als Pfarrfrau und Schriftstellerin. Über ihr Leben berichtete ihr Urenkel Gregor Kovac. Das Gesicht der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich ist Dieter Knall. Er kam in umgekehrter Richtung, aus Rumänien, und wurde in Österreich heimisch, stieg sogar bis zum Bischof auf. Hier fand nun die Enkelin Christina Rieder eindrückliche Worte.
In ihrer Moderation wiesen Wolfang Rehner und Stefan Cosoroaba auf die Christlichen Begegnungstage hin, die im Juli 2020 ebenfalls in Graz stattfinden werden und Menschen von Angesicht zu Angesicht ins Gespräch bringen werden. Danach gab es noch Gelegenheit zum Austausch. Die lange Nacht der Kirchen war noch jung… und führte jeden der Besucher in eine andere Richtung. Der eine oder die andere möglicherweise nachdenklich, über was er oder sie über den eigenen Großvater oder die Urgroßmutter sagen würde. Oder aber auch, was eine spätere Generation über uns zu sagen hätte.
Foto (privat): Christina Rieder vor der Biographie ihres Großvaters Dieter Knall
Die Veranstaltung wird in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche A.B. und H.B. Österreich und dem Deutschen Forum östliches Europa, Potsdam, durchgeführt